
Wir haben bereits Menschen getroffen, die wir Freunde nennen können. Unerwartet, ungeplant und ungezwungen. Das macht das Reisen so schön. Es passieren viele unerwartete Dinge, wenn man sie nicht herbeiwünscht, aber einfach zulassen kann.
Warum reisen wir? Es gibt viele Gründe, warum wir gerade «keinen Urlaub» machen, sondern «auf Reisen» sind. Uns den Luxus gönnen, uns treiben zu lassen, ohne Zeitlimitationen und ohne geografische Einschränkungen, die wir uns selbst setzen.
Sobald man sich aufs Reisen einlassen kann, wie wir seit ungefähr einer Woche, nicht mehr wissen, welchen Wochentag und welches Datum wir gerade haben, dann ist man schon auf einem sehr guten Weg dahin, wie wir die nächsten Monate unterwegs sein wollen.

Ebenfalls ein Geschenk des Reisens ist es, sich von Zufällen und Impulsen leiten zu lassen, offen zu sein für viele Dinge, die zu Hause im Alltagstrott nerven, nicht zugelassen und sogar mit Skepsis betrachtet würden.
Wir haben bereits viele solcher kleinen Momente gehabt, doch einen wollen wir ganz besonders hervorheben. Und das ist die Bekanntschaft mit einer Familie, die uns Einblicke in ihre Familie gewährt, uns in ihr Zuhause mitgenommen und uns geholfen hat, einfach ihre freie Zeit mit uns verbringen wollte. Und das kam so:

Auf einmal steht Vince da, auf einem Campingplatz im «Waterton National Park», den wir uns niemals freiwillig ausgesucht hätten, wäre eine Alternative da gewesen. Doch muss man in National Parks in Kanada, wie in vielen anderen Ländern, auf ausgewiesenen Campsites übernachten.
Somit war es unser erster richtiger Campingplatzaufenthalt und wir waren gelinde gesagt, skeptisch bis voreingenommen. Wir ergattern den letzten Platz für ein Fahrzeug von Calypsos Grösse und dürfen direkt vor dem Toilettenhäuschen auf dem einzigen rollstuhlgängigen Platz übernachten. Es handelt sich um sehr grosszügige Legebatterien mit zugehörigem «Picknick Table» und immerhin mit einem fantastischen Blick auf die Rocky Mountains.
Wie seit unserer Ankunft einfach überall, erregen wir Aufmerksamkeit und ich werde wieder einmal darin geschult, nur das Positive darin zu sehen, beäugt, angestarrt und freudig angesprochen zu werden. Unterm Radar können wir nicht reisen und kontaktscheu darf man auf keinen Fall sein, wenn man sich für ein Kaliber wie Calypso entscheidet. Das war uns in diesem Ausmass nicht klar, dachten wir doch, dass es bereits etliche vor uns gab, die den nordamerikanischen Kontinent mit Expeditionsfahrzeugen unsicher gemacht haben.
Also zurück zu unserer neuen Bekanntschaft. Wir rollen auf den uns zugewiesenen Stellplatz, unsere Kinder können wir kaum auf den Sitzen halten. So sehr möchten sie rausspringen und sich anderen Kindern, die auf dem Campingplatz spielen, anschliessen. Es steht auch schon ein Mädchen vor unserer Kabinentür, bevor wir überhaupt den Motor abstellen, und nimmt Lotta und Matti mit. Wohin auch immer, die Verständigung läuft schleppend, doch ist die kindliche Vorfreude, sich zu bewegen und die Umgebung zu erkunden, grösser. Sie ziehen davon und wir kümmern uns erst einmal um die notwendigen Dinge nach dem Ankommen - wie Wasser nachfüllen, Betten machen, kochen und aufräumen.
Und diese Gelegenheit nutzt unsere neue Bekanntschaft, Vince, um Jan zu Calypso auszuquetschen und mit ihm ein mitgebrachtes Bier zu trinken. Das erste alkoholische Getränk seit Wochen für Jan. Wir sind komplett auf «Zero Beer» umgestiegen und finden es gar nicht so schlecht. Der Wein in Nova Scotia hat uns etwas abgeschreckt, so dass wir gar keine Lust verspüren, Alkohol zu trinken.
Der Vater von drei Kindern ist mit der ganzen Familie fürs Wochenende spontan angereist. Eigentlich ist der Campingplatz seit Februar ausgebucht, sobald die Buchungsslots aufgegangen waren, wie sie uns später erzählen. Cait, Vince Frau, nutzte die Chance einer kurzfristigen Absage und buche das Wochenende spontan ein paar Tage vorher. So sollte es also sein, dass sich unsere Wege kreuzen.
Im Laufe der nächsten Woche haben wir viel Zeit miteinander verbracht – zuerst ein gemeinsames Bier beim Wassertanken, dann ein gemeinsamer Kaffee am nächsten Morgen beim lokalen Barista und eine gemeinsame Wanderung inklusive Hund Diana im National Park.
Beim gemeinsamen Museumsbesuch auf dem Rückweg nach Calgary im «Bomber Command Museum of Canada» in Nanton schauen wir uns Flugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg an sowie Flugzeugtypen, die immer noch zu Trainings- und Showzwecken im Einsatz sind.
Maddie und Sébastien, die beiden älteren Kinder in Lottas und Mattis Alter, fahren sowohl zur Wanderung als auch nach Calgary, wohin wir die Familie begleiten dürfen, mit uns mit. Calypso kann also endlich ihr volles Potential auf der Rückbank zeigen. Calgary war nicht auf unserer Reiseagenda, doch war die Entscheidung für Lotta und Matti sofort klar, da Papa zum Zahnarzt muss und die Zahnärzte in Calgary ja mit Sicherheit die besten in der Umgebung sein müssen.
Die Kinder verstehen sich untereinander sehr gut. Lotta und Matti überwinden das erste Mal ihre Scheu, auch ohne uns mit kanadischen Kindern zu spielen und zu kommunizieren. Lotta fängt an, englische Sätze zu bilden und zu kommunizieren. Matti fordert sie zusätzlich heraus, da sie mit ihren fünf englischen Vokabeln für ihn übersetzen muss. Mir wird warm ums Herz, genauso hatte ich es mir vorgestellt, dass es nach einigen Wochen sein würde.

Wir lachen viel und verstehen uns blendend. Vince erinnert uns an einen guten Freund aus Zürcher Tagen mit einer Affinität zu Outdoorsport, Familiensinn und vor allem mit einem sehr speziellen Humor, den wir extrem mögen. Er gibt Lotta und Matti sogar ihre erste Baseball-Lektion.

In Calgary angekommen campieren wir zwei Nächte in Calypso vor der Haustüre der Familie Goodfellow und erregen auch hier die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft.
Vince macht natürlich wieder Witze darüber, insbesondere weil Jan die Geschichte, dass wir keinen Plan haben, wohin es weitergeht, auch jedem so erzählt, der fragt.
Gebetsmühlenartig, freundlich und immer offen antwortet Jan auf die immer wiederkehrenden Fragen zu unserer Herkunft, der «Artenbestimmung» Calypsos («What is this?» - eine gern gestellte Frage, als ob wir vom Mars kämen) und was unsere Reisepläne sind.
Die Familie nimmt uns in ihr privatestes Umfeld mit, wir sind einfach nur überrascht. Wäre uns das so in der Schweiz oder in Deutschland passiert? Wohl eher nicht, wo man seine Privatsphäre extrem schützt und teilweise zu viel Skepsis an den Tag legt.
Wir gehen in ihrem Haus ein und aus, Lotta und Matti dürfen Maddie und Sébastien mit zur Schule bringen, Vince organisiert einen Zahnarzttermin für Jan und nimmt uns mit zum Lunch zu seinem Lieblingsbistro.
Wir fahren gemeinsam mit den Velos dorthin, Vince baut noch schnell einen kleinen Mountainbike-Trail für die Kinder ein – das sieht für uns auf den ersten Blick wirklich nach Lebensqualität aus.
Für den darauffolgenden Tag schlägt Vince einen gemeinsamen Ausflug in den «Banff National Park» vor, um eine Wanderung am Lake Louise etwas abseits der Touristenströme (dem "Zoo" der Instagram-Touristen) zu machen. Er nimmt Maddie und Sébastien für einen Tag aus der Schule und schaufelt sich selbst einen Tag frei, um mit uns um sechs Uhr morgens in das zwei Stunden entfernte Lake Louise zu fahren. Kanadier haben in der Regel nur vier bis fünf Wochen Ferien, somit wissen wir es noch mehr zu schätzen.
Was gibt es Schöneres als Locals zu kennen, die einem ihre Lebensweise und ihre Lieblingsplätze zeigen? Wir waren nicht in der Innenstadt von Calgary, doch wird diese Stadt für uns alle immer etwas Besonderes sein und steht im Ranking vor allen anderen Städten Kanadas, die wir tatsächlich besucht haben. Und das, weil es diese wertvollen Menschen dort gibt, die wir nach wenigen Tagen bereits so etwas wie Freunde nennen.
Der Name der Familie Goodfellow ist Programm – «guter Typ» könnte man übersetzen, das trifft auf die ganze Familie zu, auch auf die Jüngste im Bunde, Claire, die ganz locker mit ihren drei Jahren bei Vince auf der MIttelstange auf dem Mountainbike die Hügel runterrast und Matti bitterböse anklagt, weil er ihr Minze-Schocko-Eis aufgegessen hat. Auch Hündin Diana ist entspannt und offen für neue Bekanntschaften. Sie lässt sich mit einer stoischen Ruhe stundenlang von Matti und Lotta verwöhnen. Auch hier lernen die Kinder ganz schnell die entsprechenden englischen Vokabeln, um mit Diana zu kommunizieren.
Wir hoffen, dass wir in Kontakt bleiben und sie, wo auch immer es uns hin verschlägt, bei uns begrüssen können. Skifahren im 4vallées im Wallis ist schon ausgemacht, damit die "ach so verwöhnten Kanadier" die für uns schönste Skiregion der Welt kennenlernen können.
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Raphael Gugi (Mittwoch, 21 September 2022 14:38)
So genial dieser Blog! Danke fürs Teilen, wir reisen und fiebern mit euch! Habt ihr noch ein Anhänger geplant für alle Souvenirs ?
Einzig die Story mit dem zero- beer ist nicht glaubwürdig :-)
Take car
Calypso (Donnerstag, 22 September 2022 09:59)
Liebe Gugis
schön Euch hier zu sehen. Wir haben zum Glück guten Wein aus BC entdeckt, also müssen wir nicht mehr nur Zero Beer trinken. Anhänger wäre hier gar nicht so unüblich, wir schicken ein Foto, sobald wir einen geeigneten gefunden haben. Viel Erfolg mit dem Ball, wir bleiben aus der Ferne dran und freuen uns dann auf die erste Tasse wieder back at home. Liebe Grüsse an Euch 5