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MEX/ QRO: Eine Oase unter Schafen

Wir machen uns am 7. Januar auf den Weg nach Guadalajara im Bundesstaat Jalisco, da sich dort die nächstgelegene MAN-Niederlassung auf dem Festland in Mexiko befindet. Die zweitgrösste Stadt Mexikos mit ca. acht Millionen Einwohnern soll für uns die inzwischen notwendige Anlaufstelle sein, um das erste Mal seit Beginn unserer Reise technische Hilfe in Anspruch zu nehmen. 


Seit einigen Wochen häufen sich nun kleinere Wehwehchen bei Calypso, die wir vor der Weiterfahrt Richtung Süden reparieren lassen wollen. Angefangen bei unserer Treppe, deren Motor seit Kalifornien nicht mehr funktioniert und uns seitdem über unsere Leiter ein- und aussteigen lässt, über eine Fehlermeldung bei Motorsteuerung und Standheizung bis hin zu geringem Ölverlust an der Vorderachse füllt sich die Liste an Dingen, die professionell gefixt werden sollten. 


 

Da wir Calypso in gute Hände geben wollen, während wir zehn Tage mit Jans Schwester mit Mann und Kind in Yucatán verbringen, haben wir einen Flug von Guadalajara nach Cancun gebucht. Die Strecke ist doch zu weit, um es mit Calypso mal schnell bis zum vereinbarten Termin zu schaffen. Also entscheiden wir uns zu fliegen. 

 

Angekommen in Guadalajara stellt sich heraus, dass es die MAN-Niederlassung am vermerkten Ort nicht mehr gibt. Ein Wächter schickt uns quer durch die Stadt zu einer anderen Adresse. Dort angekommen stellt sich nach etwa einer Stunde heraus, dass man uns nicht helfen kann. Zu speziell ist Calypso und die Expertise ist nicht vorhanden.

 

Man schickt uns leichterhand weiter nach Querétaro, einer kleineren Stadt mit etwas über einer Million Einwohnern, die knapp 400 Kilometer östlich liegt. Mit Calypso bedeutet das etwa fünfeinhalb bis sechs Stunden Fahrzeit. Das wollen wir nicht an einem Tag machen.  

 

Nach Ticketkauf am Flughafen (neue Tickets von Querétaro nach Cancun), etlichen Selfies von Passanten mit Calypso später geht es nun weiter Richtung Querétaro. Ich suche schnell bei iOverlander nach einem vertretbaren Stellplatz und werde bei einem Parkplatz vor Starbucks in der Stadt Irapuato fündig, die etwa auf der Hälfte der Strecke liegt. Wir kommen ganz gut durch, da wir nur Tollroads fahren und die Stimmung im Auto ist wieder stabiler, nachdem natürlich alle genervt bis verunsichert waren, warum wir nun doch wieder so signifikant unsere Pläne ändern mussten.


Etwa eine Stunde vor unserem Etappenziel bei Starbucks google ich schnell unseren heutigen Zielort und werde fündig, dass es sich dabei um eine Stadt handelt, die mir in Rankings der gefährlichsten Städte weltweit ins Auge springt. Also doch keine gute Idee, wir fahren bis nach Querétaro weiter - nochmals drei Stunden Fahrzeit on top.

Auf iOverlander, der App unseres Vertrauens, wenn es darum geht, schnell und unkompliziert einen Stellplatz für eine Nacht zu finden, zeigt uns bereits, dass diese Stadt nicht "camperfreundlich" ist. Campingplätze gibt es nur wenige und diese weit ausserhalb. Stellplätze zu zentral wollen wir nicht anfahren, da es sich in mexikanischen Innenstädten bisher nicht bewährt hat, mit einem so voluminösen Fahrzeug, wie Calypso, ins Zentrum zu fahren. Zu viele enge Strassentiefhängende Stromkabel und keine Chance, grosse Parkplätze zu finden.

Wir entscheiden uns für einen Spot vor einem Wasservergnügungspark, obwohl nicht klar wird, ob das übernachten dort noch möglich ist oder dauerhaft untersagt. Die Kommentare in der App gehen inhaltlich doch sehr weit auseinander. 

 

Wir haben keine wirkliche Alternative, versuchen es einfach und steuern die Location an. Es ist bereits 17:30 und es fängt allmählich an zu dämmern. Wir kommen dort an und auf den ersten Blick wird klar, dass wir hier nicht stehen können. Was nun?

 

Weiter die Strasse runter versuchen wir erst einmal zu wenden und entdecken dabei ein Schild, das auf eine Ranch hinweist. Nach unseren guten Erfahrungen in den USA, auf landwirtschaftlichen Betrieben zu übernachten, wollen wir es auf gut Glück versuchen. Was bleibt uns anderes übrig, in der Dunkelheit fahren wir in Mexiko nicht weiter.

 

Zuerst fahren wir am Tor der Ranch vorbei, da es unscheinbar ist und wir es erst beim zweiten Passieren als solches erkennen. Jan nutzt unser nicht zu überhörendes Horn und gleich darauf erscheint auch ein älterer Mann am Tor. Nach einem kurzen Wortwechsel öffnet er uns das Tor und lotst uns auf sein Anwesen. Wir sind eingeladen, zu übernachten und sind glücklich, dass wir eine Lösung gefunden haben und dann auch noch eine ganz besondere, wie sich herausstellen wird. 

 

Wir sind angekommen auf der "Rancho San JoseMaría" von Catalina und Martin, einem mexikanischen Ehepaar, die sich mit der Produktion von delikatem Schafskäse über die Grenzen von Mexiko einen Namen gemacht haben. Wir befinden uns auf einer Schaffarm, die nicht nur die Herzen von Lotta und Matti sofort höher schlagen lässt. Nach diesem anstrengenden Tag wollen wir nur noch aussteigen und uns umschauen. 


Wohin das Auge reicht, sehen wir Schafe - viele Jungtiere und trächtige Tiere. Die drei Farmhunde sind auch gleich zur Stelle und nehmen uns zum Spielen in Beschlag.

Wir dürfen uns frei bewegen, Martin zeigt uns alles, erzählt uns viel über die Farm und deren Geschichte, wie er vom Bankier zum Schafzüchter wurde und Catalina die Käseproduktion erfolgreich führt. Sie hat sich mit "learning-by-doing" zu einer der fünf "maître fromager" in ganz Südamerika entwickelt.

Bereits seit 2011 haben sie mehrere Auszeichnungen, wie den "World Cheese Award" gewonnen. Das alles erfahren wir übrigens erst am nächsten Tag ganz nebenbei. Beide sind sehr bescheiden, freuen sich über unser grosses Interesse.

 


Kurz bevor sich Catalina verabschiedet, gibt sie uns uns einige "Käse-Samples". Leider habe sie nur noch diese, da sie die sieben Tonnen Käse, die sie jährlich produzieren, bereits vor der Produktion schon verkauft habe. Sie überreicht uns vier eingepackte Käsestücke und erklärt uns zu jedem den Herstellungsprozess sowie die geschmackliche Besonderheit. Sie sei sehr daran interessiert, wie es uns schmeckt. Wir, die wir aus einer "Käse-Nation" kommen. Natürlich sind wir begeistert. Wie lange haben wir keinen guten Hartkäse mehr gegessen. 

 

Zum Abendessen planen wir eine Käse-Degustation in unserer Calypso. Endlich wieder richtigen Käse, kein Industrieprodukt, das mit viel Wohlwollen als Käse nur identifiziert werden kann, wie es uns die letzten Monate seit Kanada stetig begleitet hat. Wir haben uns konsequent daran gehalten, keinen Schweizer Käse zu kaufen, sondern nur lokalen zu kaufen. Das dann jedoch auf Kosten von gutem Geschmack und merkwürdiger Konsistenz. 

 

Wir setzen uns alle an den Tisch und starten die Degu. Geschmacklich unterscheiden sich die Samples sehr - jeder für sich schmeckt fantastisch und wir müssen zwei als Beste küren, da wir uns nicht entscheiden können. Ein Stück lassen wir verpackt, da wir es mit in "unsere Ferien" nach Yucatan nehmen werden.

 


Direkt vor dem Schafgehege dürfen wir die Nacht verbringen und schlafen begleitet vom Mähen und Blöken der Schafe schnell ein. Am nächsten Morgen stehen wir wieder mit der Geräuschkulisse auf, Martin ist schon wieder ab sieben Uhr auf der Farm zu Gange.

Er fährt in den Peakzeiten, wenn Jungtiere geboren werden und die Käseproduktion anläuft, spätabends den zwanzigminütigen Weg nach Hause ins Zentrum von Querétaro und kommt morgens wieder zur Farm zurück.

 

Viele Jungtiere sind über Nacht zur Welt gekommen, es gibt für seine zwei Mitarbeiter und ihn viel zu tun. Lotta flitzt natürlich gleich raus und möchte sich die Schäfchen anschauen. Begleitet von "Carlotta", dem betagten Labrador der Farm, erkundet sie bei Tageslicht die Gehege mit den zahlreichen Tieren und fragt Martin ein Loch in den Bauch. 

 

Schnell frühstücken wir und klären ab, wann es Martin zeitlich am besten passt, sich mit uns zusammenzusetzen, um Tipps für unsere weitere Reiseroute zu teilen. Bis dahin erledigen wir unser Home-Schooling-Programm im Schatten der Bäume. 

Catalina kommt etwas später mit ihrer Enkeltochter zur Farm und erzählt uns viel von ihrem Alltag, der Käseproduktion und ihrem Werdegang.

 


Vor etwa 15 Jahren haben sie ihr Leben komplett umgekrempelt und sind mit ihrer Schaffarm gestartet. Natürlich bewegt diese Geschichte etwas in uns, sich in der Mitte des Lebens komplett neu zu erfinden und jetzt mit über 60 Jahren vor uns zu stehen, beglückt, zufrieden, mit den Händen arbeitend und für ihren leckeren Käse mit Auszeichnungen wertgeschätzt zu werden. 

 

Mutig einen neuen Weg gehen, aus der Comfort-Zone hinaus und in eine komplett neue Sphäre eintauchen. Das gefällt uns. Wir wollen keine Schafzüchter werden, doch gibt es so viele Ansätze für das "Projekt glückliches Leben"

 

Catalina überrascht uns danach, dass Matti und Lotta eines der in der letzten Tagen neugeborenen Schäfchen "adoptieren" dürfen. Wir gehen gemeinsam zu den Tieren und beide suchen sich ihr Schäfchen aus. Die Namensfindung ist bei Lotta schnell erledigt - Linda, soll ihr Schaf heissen - die Hübsche. Matti sucht etwas länger und entscheidet sich für Nya, wie eine der Heldinnen in seinen Ninjago-Geschichten. 

 

Es wird alles fein säuberlich dokumentiert, die Nummern auf den Halsbändern den neuen Namen zugeordnet und beide dürfen ihr Schäfchen beherzt auf den Arm nehmen.

 


Am späten Nachmittag sind wir eingeladen, gemeinsam mit den beiden und ihrem Sohn mit Familie im Schatten der Bäume typisch mexikanisch zu essen. Ich lerne, wie eine richtige mexikanische Guacamole selbst gemacht wird, ohne Knoblauch, dafür mit Avocados, die geschmacklich so intensiv schmecken, wie ich sie so noch in keinem Laden bei uns kaufen konnte.  

Zum Glück bevorzugen Martin und Catalina nicht so scharfes Essen, so dass das Ergebnis hervorragend für uns zu geniessen ist. Zusammen mit anderen typischen mexikanischen Snacks bereiten wir Tacos zu und geniessen das gemeinsame Essen.

 

Wir erfahren viel über die Familie, die Kinder, ihren Bezug zu Europa, die Herausforderungen in Mexiko und ihre persönlichen Vorlieben mexikanischer Orte. Wieder einmal wird offensichtlich, was für ein Geschenk es ist, Einblicke über Locals beim Reisen zu bekommen. 

 

 


Abends kommen nochmals weitere Lämmchen zur Welt. Wir können die ersten Schritte der Jungtiere beobachten. Danach gehen Matti und Lotta Catalina noch etwas zur Hand.

Den Rest des Abends sind wir damit beschäftigt zu packen, Calypso aufzuräumen, den Kühlschrank zu leeren. Alles muss bereit sein, damit wir am nächsten Morgen früh zur Werkstatt und dann zum Flughafen aufbrechen können. 

 

Auch die zweite Nacht vor dem Abflug nach Cancun dürfen wir noch auf der Farm stehen. Wir sind eingeladen so lange zu bleiben, wie wir wollen. Die Gastfreundschaft berührt uns, das gegenseitige Interesse und die Sympathie sind offensichtlich und wir geniessen es, in der Natur und bei Tieren sein zu können, weit weg von klassischen Campingplätzen, die wir auf dem Festland leider aus Sicherheitsgründen primär ansteuern müssen. 


Am nächsten Morgen geht es nochmals zum Abschied zu den TierenLotta und Matti sind von Martin eingeladen beim Melken zu helfen. Er zeigt ihnen die Melkmaschinen und erklärt ihnen den Ablauf. Dann dürfen beide selbst melken.

Die Jungtiere machen einen Riesenlärm, da sie nach ihren Müttern rufen, von welchen sie seit einigen Stunden getrennt wurden. Sobald das Melken vorüber ist, stürmen die Muttertiere zu ihren Jungen.

Wir beobachten das Szenario, verabschieden uns von Linda, Nya, den Farmhunden und Martin


Wir sind eingeladen, in zehn Tagen wiederzukommen, wenn wir aus Yucatán zurück sind. Gerne nehmen wir an und sind schon gespannt, wie viel unsere beiden Schäfchen bis dahin gewachsen sein werden.

 

Gerne kaufen wir noch im kleinen "Farmladen" ein und unterstützen ein weiteres Projekt der beiden, aus ihrer eigenen Wolle Handarbeiten in der nächstgelegenen Dorfgemeinschaft fertigen zu lassen und diese dann an ihre Besucher zu verkaufen. Somit leben sie ihren holistischen Ansatz nicht nur auf ihrer Farm, sondern integrieren ebenfalls ihr direktes Umfeld.

Für den lokalen Honig sind wir natürlich ebenfalls gute Abnehmer und kommen so endlich wieder in den Genuss eines natürlich und wohlschmeckenden Honigs. 

 

Catalina und Martin reisen regelmässig zu ihrem ältesten Sohn nach Südfrankreich. Wir hoffen, dass sie uns dann auch einmal besuchen werden und wir ihnen unser Zuhause näher bringen können. 


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Kommentare: 1
  • #1

    Mila Subotic (Donnerstag, 09 März 2023 11:23)

    MEGA COOL �